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Die nächsten Tage und Wochen versprechen spannend zu werden. Die Epstein-Files könnten Trump endlich auf die Füße fallen. Die russische Bevölkerung und vermutlich auch so mancher Oligarch haben die Faxen dicke von ihrem „weisen Führer“ Putin, und Orban bettelt um Unterstützung bei den Amis für seine Wiederwahl, die endlich auf der Kippe zu stehen scheint. Aber wie konnten wir in diese Situation gelangen?

Warum fallen wir immer wieder auf Menschen herein, die uns mit plumpen Parolen überrumpeln und so die Regierung an sich reißen?
Es ist eine der frustrierendsten Beobachtungen unserer Zeit: Warum sind es nicht immer die Klügsten, die den größten Einfluss haben? Warum erreichen Menschen, die offensichtlich inkompetent sind, hohe Positionen? Und warum werden Entscheidungen getroffen, die so absurd erscheinen, dass man nur noch mit dem Kopf schütteln kann? Der italienische Wirtschaftshistoriker Carlo M. Cipolla hat sich intensiv mit diesem Phänomen beschäftigt und eine ebenso einfache wie erschreckende Theorie aufgestellt: Dummheit ist nicht nur eine individuelle Schwäche, sondern eine systemische Kraft, die unsere Gesellschaft in einem viel größeren Ausmaß prägt, als wir es uns eingestehen wollen. [1]
Die fünf Gesetze der menschlichen Dummheit
In seinem Essay „Die grundlegenden Gesetze der menschlichen Dummheit“ formuliert Cipolla fünf universelle Prinzipien, die erklären, warum Dummheit nicht nur existiert, sondern immer wieder Macht gewinnt:[1]

Dummheit wird immer unterschätzt.[1]
Dumme Menschen sind überall – in allen Gesellschaftsschichten, auf allen Positionen. Gerade weil sie unberechenbar sind, sind sie so gefährlich. Viele glauben, Dummheit sei ein Problem Ungebildeter, doch sie tritt unabhängig von sozialem Status, Bildung oder beruflichem Erfolg auf. Die Folge: Dumme Entscheidungen destabilisieren nicht nur Einzelpersonen, sondern ganze Systeme.[1][2][3]
Dummheit ist unabhängig von anderen Eigenschaften. Intelligenz, Bildung oder Erfahrung schützen nicht vor dummen Handlungen.[2][3]
Dumme Menschen schaden sich selbst und anderen. Während Intelligente Entscheidungen treffen, die allen nützen, und Kriminelle zumindest sich selbst einen Vorteil verschaffen, handeln Dumme völlig unberechenbar. Sie verursachen Schaden – ohne erkennbaren Nutzen für sich oder andere.  [1][4]
Dumme Menschen sind gefährlicher als Kriminelle. Ein Krimineller handelt bewusst und rational, um seinen Vorteil zu maximieren. Sein Verhalten ist kalkulierbar. Himmlers von der Ideologie des Durchhaltens geprägte Entscheidungen und die Fortsetzung der Massenvernichtung, selbst als die Niederlage offensichtlich war, zeugen von krankhafter Verblendung. Aber auch seine Verhandlungsversuche mit den Alliierten offenbarten seine Eigennützigkeit und seine falsche, fast dümmliche Einschätzung der politischen und moralischen Haltung der Alliierten. [1][4]
Die Welt leidet unter der kollektiven Kraft der Dummen. Während Intelligente oft vereinzelt handeln, verstärken Dumme sich gegenseitig. Sie folgen einfachen Narrativen, verbreiten Unwahrheiten und unterstützen Systeme, die ihnen selbst schaden – in dem festen Glauben, das Richtige zu tun. Ihr Einfluss wächst durch ihre schiere Masse, nicht durch Absicht.[1][2][5]

   
   Warum Cipollas Theorie heute relevanter ist denn je

In einer Zeit, in der Informationen explosionsartig verbreitet werden, hat Dummheit neue Dimensionen erreicht. Soziale Medien ermöglichen es, dass Fehlinformationen, Verschwörungstheorien und absurde Überzeugungen sich mit nie dagewesener Geschwindigkeit ausbreiten; falsche Nachrichten verbreiten sich nachweislich schneller und weiter als wahre.[6][7] Ein einzelner dummer Mensch konnte früher nur sein direktes Umfeld beeinflussen – heute erreicht er durch digitale Netzwerke Millionen.[6][7]
Die Politik ist ein besonders deutliches Beispiel: Während Korruption und Machthunger zumindest einem klaren Zweck folgen, sind die Folgen von Dummheit oft verheerender. Politiker, die wissenschaftliche Erkenntnisse ignorieren oder auf einfache, aber falsche Lösungen setzen, gefährden nicht nur ihr eigenes Land, sondern die globale Gemeinschaft.[8][9]

Wie man sich vor Dummheit schützt

Cipollas Analyse zeigt: Dummheit ist irrational, unberechenbar und allgegenwärtig. Doch es gibt Wege, sich davor zu schützen:

Dummheit erkennen: Dumme Menschen tarnen sich nicht bewusst. Sie handeln aus Überzeugung und zeigen oft ein fehlendes Maß an Selbstreflexion; sie lehnen Argumente ab, die ihrer Weltsicht widersprechen, und bleiben bei falschen Überzeugungen – selbst wenn Beweise das Gegenteil zeigen.[3][10]
Kritisches Denken: Informationen hinterfragen und die eigene Position regelmäßig prüfen. Kognitive Mechanismen (z. B. intuitive Denkmuster, Bestätigungsfehler) führen sonst dazu, dass Menschen einfache, falsche Antworten annehmen.[10][11]
Distanz wahren: Dummheit lebt von Aufmerksamkeit. Diskussionen mit Personen, die auf Fehlinformation bestehen, enden selten produktiv; strategischer Rückzug kann sinnvoll sein.[6][10]
Medienkompetenz: In einer Welt voller Fake News und politischer Propaganda ist es entscheidend, zu verstehen, wie Informationen manipuliert werden. Studien zeigen, dass sowohl fehlende Sorgfalt beim Prüfen von Inhalten als auch emotionale Ansteckung das Teilen falscher Informationen fördern.[6][7][11]

   

Fazit: Dummheit ist eine kollektive Gefahr

Cipollas Gesetze bieten eine pointierte Diagnose menschlichen Verhaltens; empirische Forschung bestätigt, dass Fehlinformationen, kognitive Verzerrungen und digitale Verbreitungsmechanismen erhebliche gesellschaftliche Schäden verursachen können.[1][6][10] Die Welt wird sich nicht allein durch Appelle an Vernunft retten. Der Einzelne kann sich jedoch durch kritisches Denken, Skepsis und Medienkompetenz davor bewahren, von Fehlinformationen beherrscht zu werden.[10][11]

Quellenverzeichnis (Auswahl; Zitierformat: APA)
[1] Cipolla, C. M. (1976/1987). The Basic Laws of Human Stupidity. In The Basic Laws of Human Stupidity and Other Essays. (Originalessay).
[2] Kahneman, D. (2011). Thinking, Fast and Slow. Farrar, Straus and Giroux.
[3] Nyhan, B., & Reifler, J. (2010). When corrections fail: The persistence of political misperceptions. Political Behavior, 32(2), 303–330.
[4] Sunstein, C. R. (2006). Infotopia: How Many Minds Produce Knowledge. Oxford University Press.
[5] Oreskes, N., & Conway, E. M. (2010). Merchants of Doubt. Bloomsbury Press.
[6] Vosoughi, S., Roy, D., & Aral, S. (2018). The spread of true and false news online. Science, 359(6380), 1146–1151.
[7] Lazer, D. M. J., Baum, M. A., Benkler, Y., Berinsky, A. J., Greenhill, K. M., Menczer, F., ... & Zittrain, J. L. (2018). The science of fake news. Science, 359(6380), 1094–1096.
[8] Pennycook, G., & Rand, D. G. (2019). Lazy, not biased: Susceptibility to partisan fake news is better explained by lack of reasoning than by motivated reasoning. Cognition.
[9] Diverse Policy-Analysen zu COVID-19 und Politikversagen (2020–2023) — siehe Fachartikel in The Lancet, BMJ, und Policy Reports (Beispiele: Analysen zu evidenzbasiertem vs. politisch motiviertem Handeln).
[10] Kahan, D. M., et al. (Studien zu motivated reasoning, kulturellen Kognitionseffekten). Siehe z. B. Kahan, D. M. (2017). Misconceptions, Misinformation, and the Logic of Identity-Protective Cognition.
[11] Pennycook, G., & Rand, D. G. (2018–2021). Weitere Arbeiten zu kognitiven Ursachen des Teilens von Fehlinformationen und Interventionsstrategien.