Es ist Sonntag, 13:30 Uhr, am 23.11.2025 im Kongresszentrum Kap Europa. Die Generalversammlung der Volt-Partei Europa steuert auf ihren Höhepunkt zu. 1700 Zuhörer drängeln sich im Saal „Charlotte“, der eigentlich nur für 1500 Zuhörer vorgesehen ist. So viele Menschen haben sich in diesem Raum seit Beginn der GV nicht in dem Kongresssaal versammelt.
Vor jeder Eingangstür positioniert sich eine Ordnerperson in lilafarbenen Schürzen. Der verantwortliche ehrenamtliche Techniker, der rechts neben mir sitzt, leitet die Anweisung weiter, den YouTube-Chat umgehend abzuschalten, sollten unangemessene Kommentare fallen. Wenn auch die Stimmung im Saal weiterhin freundlich und locker, ja nahezu festlich bleibt: Man merkt, dass dies der Moment ist, den die Verantwortlichen der Veranstaltung am meisten fürchten. Auf der Bühne nehmen David Feldman und Sandra Franz Platz. Per Video werden Mohamad Jamous und Rula Daood von der Standing Together-Bewegung zugeschaltet. Thema der Runde: der Gaza-Konflikt.
Wie ich überhaupt hierhin kam:
Kurz vor der letzten Bundestagswahl habe ich mit dem Wahl-O-Mat gespielt und war von dem Ergebnis überrascht. Drei Parteien schienen, bei den Themen, die mir wichtig sind, mich abzuholen und kamen auf 91 % Übereinstimmung. Das betraf die Linke, B90/Die Grünen und die Volt-Partei. Über der Linken schwebt in meiner Wahrnehmung, und ja, ich weiß, das ist Quatsch, weiterhin der Geist der Parteien-Zerstörerin und Putins-Magd Wagenknecht. Die Grünen waren für mich viele Jahre nicht wählbar, was meiner privaten Vita geschuldet ist. VOLT habe ich schon mal gehört, verbinde aber nichts Konkretes mit der Partei. Also machte ich mich schlau und ging nach einiger Zeit sogar den Schritt, mich als Mitglied einzutragen. Dennoch sah ich diesen Besuch bei der Generalversammlung in Frankfurt als erstes Beschnuppern an.
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Tag eins der Generalversammlung. |
Tag zwei der Generalversammlung. |
Da ich alleine anreisen würde und ich niemanden kannte, hielt ich es für eine gute Idee, als die Leiterin der freiwilligen Mitarbeiter für die Tage jemanden suchte, der das Übersetzungstool für die Zuschauer und Gäste bedient, in dem WhatsApp-Chat laut „HIER“ zu rufen.
Es stellte sich heraus, dass dies nicht so einfach ist, und ich stehe vor technischen Hürden, die auch meine Techniker auf die Schnelle nicht lösen können. Aber dies ist eine ganz andere Geschichte.
Generell scheint meine Fahrt hierhin unter keinem guten Stern zu stehen. Eigentlich dachte ich, um 13 Uhr in Frankfurt zu sein, aber überraschender Schneefall zwischen Paris und Reims verzögert meine Anreise um drei Stunden. Die Heizung meiner Unterkunft ist so laut, dass ich sie vor dem Schlafengehen lieber abstelle, was bei Minustemperaturen nur semioptimal ist. Angekommen in der Kongresshalle fällt der Leiterin des Volontär-Teams auf, dass ich innerhalb der Volt-Familie gänzlich unbekannt bin. Trotzdem lässt man mich gewähren, obwohl Gerüchte im Umlauf sind, dass AfD-Blogger eine Boykott-Aktion gegen die Veranstaltung planen. Mich persönlich treibt eher die Angst, durch meine eigene Tölpelhaftigkeit einen unerwünschten Bekanntheitsgrad bei Volt zu erlangen, indem ich die gesamte Technik lahmlege. Da ich mich aber zurückhalte und kein fremdes Gerät oder keinen fremden Computer anfasse, gehe ich diesem Ärger aus dem Weg. Stattdessen schließe ich laufend Bekanntschaften, mache Smalltalk mit jedem, der mir gerade über den Weg läuft, und freue mich, weltoffenen und aufgeschlossenen Menschen aus ganz Europa zu begegnen. Selbst Schweizer, Briten und Ungarn sind am Start und es ist mit allen Teilnehmern eine Freude, ein kurzes Schwätzchen zu halten. Uns alle eint die Liebe zu Europa und zur Demokratie. Mir reicht das, denn es ist erlaubt, anderer Meinung zu sein. Zu einem wirklichen Streitgespräch kommt es nicht, selbst bei Themen wie Flüchtlinge oder Atomkraft, die ich sonst bei mir unbekannten Personen eher nicht oder nur mit Vorsicht ansprechen würde.
Das Publikum ist bunt. Regenbogenfahnen und Regenbogen-Teddys sind gut vertreten, aber auch Juden, die ihre Religion nicht verstecken, und die Tatsache, dass 30 Nationen sich eingefunden haben, machen die Veranstaltung zu einem bunten Spektakel. Europa hat viele Farben, und das ist gut so!
Mohamad Jamous ist der einzige Palästinenser, der zu Wort kommt. Ihm gegenüber sitzen David Feldman, Rula Daood und Sandra Franz, welche die jüdische Seite vertreten. Doch die Vier teilen die Vision eines friedlichen Zusammenlebens aller Religionen und verurteilen die Vorgehensweisen der israelischen Regierung und der Hamas. Das ist richtig so, war aber auch zu erwarten gewesen, da man natürlich keine Hater zu einer Podiumsdiskussion einladen würde. Aber die große Unbekannte war die Reaktion des Publikums. Kurz gesagt: Keiner der Redner wurde gestört, es gab keine unangebrachten Zwischenrufe und kluge Einwände der eingeladenen Gäste wurden vom Publikum mit Applaus bedacht. Sandra Franz von der Hochschule Niederrhein macht durch ihre klare Sprache auf sich aufmerksam und wird nach dem Treffen von mehreren Zuhörern beglückwünscht, die sich auch persönlich bei ihr bedanken.
Das ist genau der Moment, in dem ich merke, dass ich hier richtig bin.
Es folgt noch eine Abstimmung darüber, ob Volt bei der Definition von Antisemitismus der IHRA oder der JDA folgen soll. Die IHRA (Internationale Holocaust-Gedenkallianz) ist eine zwischenstaatliche Organisation, die sich auf die Erinnerung an den Holocaust, die Bekämpfung von Antisemitismus und die Förderung von Holocaust-Bildung konzentriert, während das JDA (Jüdisches Dokumentationszentrum/Archiv in Wien) ein regionales Archiv und Forschungszentrum ist, das primär die Dokumentation jüdischer Geschichte, insbesondere des österreichischen Judentums und der NS-Verfolgung, betreibt.
Ich enthalte mich der Wahl, da mir beide Definitionen unbekannt sind. Die Wahl fällt zugunsten der IHRA aus.
Ich werde wohl am Ball bleiben und vielleicht schaue ich sogar bei der nächsten GV in Bratislava vorbei.

